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Beiträge zur

Strategie und Taktik

Die 4 strategischen Grundkonzepte des Kreuzens
Januar 2021
Boot_Die_Geometrie_des_Regattasegelns.jp

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, Jan 2021

  Grundsätzlich kann man vier verschiedene strategische Grundkonzepte der Kurswahl für die Kreuz unterscheiden. Diese sind „die bevorzugte Seite“, „der Anliegerschlag“, „durch die Mitte“ und der  „Z-Kurs“ (s. Abb.). Alle diese gewählten Grundkonzepte haben ohne Winddreher bei konstantem Wind und ohne Strömungsunterschiede gleiche Segelstrecken, sind also abgesehen von eventuellen Wendeverlusten gleichwertig.

Die bevorzugte Seite:

  Dieses Konzept wird absichtlich oder unabsichtlich von Seglern wohl am häufigsten angewendet. Eine Seite der Kreuz ist, aus welchen Gründen auch immer, bevorzugt. Es kann dort mehr Wind herrschen oder weniger Welle sein. Eventuell ist dort kein Gegenstrom oder sogar Schiebestrom zu erwarten und schließlich gibt es auch eine häufig zu hörende Empfehlung, die besagt: ist auf einer Seite der Kreuz Land, dann segle dorthin.

Der Anlieger:

  Dies ist das radikalste Konzept, mit dem höchsten Risiko, aber eben manchmal auch den höchsten Gewinnchancen. Es hat den Vorteil, dass man nur eine Wende segeln muss und daher kaum Wendeverluste hat. Anfängern und Seglern in langsamen Bootsklassen ist von diesem Konzept eigentlich bei 99% aller Kreuzen abzuraten, es birgt zu viel Verlustrisiko.

Durch die Mitte:

  Dieses Konzept ist das Sicherheitspaket. Aus der Mitte heraus kommt man überall schnell hin, wo sich Vorteile bieten. Man kann von jedem Winddreher profitieren. Der Nachteil ist der relativ hohe Wendeverlust. Mit diesem Konzept wird man seltener grandiose Laufsiege herausfahren, aber öfter Serien gewinnen. Da man in der Regel zu Beginn der Kreuz längere Schläge segelt als kurz vor der Luvtonne, wird dieses Konzept auch häufig das "Tannenbaumkonzept" genannt.

Z-Kurs:

  Der Z-Kurs ist der ideale Kurs, wenn man nicht so recht weiß, was man tun soll. Erst einmal starten und schauen, was passiert, dann bald umlegen und lang durch die Mitte segeln, sodass man den Anlieger zur Luvboje etwa in seinem letzten Drittel erreicht. Mit dieser Strategie hat man viele Optionen für Reaktionen und wenig Manöververluste und bleibt dabei nah an der Kursachse.

Geometrische Strategie Up and Down
Die Unterschiede in der geometrischen Strategie und Taktik auf Upwind- bzw. Downwindkurs
20.6.23

In der folgenden Übersicht sind die Unterschiede bezüglich der geometrischen Strategie zwischen dem Upwind und dem Downwindkurs nach den in der mittleren Spalte genannten Kriterien zusammengestellt.

 

Vergleich Upwind Downwind geometrische Strategie.jpg
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Unterschiede bezl. Speed und Taktik auf Up- und Downwind
Oktober 23
Streckbug - Holebug

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, März2021

Screenshot 2023-10-18 180330.png
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Boot_Die_Geometrie_des_Regattasegelns.jp
Risikozonen
Risikozonen
April 2021

Auf einem Kreuzkurs kann man in Abhängigkeit von der Größe und dem zeitlichen Muster der Winddreher gewisse Risikozonen definieren. In sie hinein zu segeln birgt unterschiedliche Risiken, aber natürlich auch Chancen. Mit den konzentrischen Kreisen um die Luvtonne kann die Annäherung dorthin sehr gut sichtbar gemacht werden.

Die obere 1. Abbildung zeigt die Situation für eine exakt gelegte Kreuz, also mit der Schiefe 0°. Das Risiko ist gering, bis man die Luvtonne auf 60° peilt. Man erkennt, dass im grünen Bereich fast 200m Annäherung an die Luvtonne gutgemacht werden (DMG=Distance made good). Im orangen Bereich mit mittlerem Risiko, bis zur 75°-Peilung ist die DMG nicht einmal mehr 100m; im roten Hochrisikobereich  erreicht man nicht einmal mehr die 700m Linie . Das Risiko so weit außerhalb der Mitte der Bahn besteht in einem Linksdreher, den man nicht nützen kann, weil man auf der falschen Seite ist; genauso nützt ein Rechtsdreher nichts, da man durch ihn u.U. Überhöhe bekommt.

 

 

Die untere 2. Abbildung zeigt die Veränderungen der Risikozonen bei einer Schiefe von 10°. Der grüne Bereich ist deutlich größer geworden und die orangen und roten Bereiche sind weiter nach außen geschoben worden. Die große Veränderung ist an den konzentrischen Kreisen zu sehen: man erlangt eine DMG über 300m!! in der grünen Zone mit dem geringsten Risiko. In der orangen Zone macht man im Vergleich zur 1. Abbildung etwa dieselbe DMG, das aber auf kürzerer Strecke. Erst in der roten Zone, der "No-Go-Area" gibt es kaum noch DMG.

Fazit: Die Betrachtung der Risikozonen im Zusammenhang mit der DMG sprechen deutlich dafür, in der Regel (auf jeden Fall bei pendelndem Wind) eine konservative Strategie nahe der Kursmitte zu wählen. Außerdem zeigt Abbildung 2 deutlich, was für die Daumenregel "Streckbugsegeln" spricht.

farbige Risikozonen.PNG
Boot_Die_Geometrie_des_Regattasegelns.jp

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, Apr 2021

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, April 2021

farbige_Risikozonen_10°_schief.PNG

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, April 2021

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Spielfeld und Abseitsfalle

Wer im Spielfeld bleibt, vermeidet die Abseitsfalle

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Im Gegensatz zu fast allen anderen Sportarten verändert sich beim Regattasegeln die Größe und die Form des Spielfeldes. Dies geschieht beim Segelsport durch die ständigen Änderungen der Windrichtung. Gelingt es, sich immer im Spielfeld zu halten, erhält man sich auch alle Optionen, auf dem Weg zur Luvmarke, um von Winddrehern zu profitieren. Günstig ist es also, sich von den Rändern des Spielfeldes (also von den Laylines) fern zu halten, sich eher im Zentrum des Spielfeldes zu bewegen. In der Nähe der Laylines droht die Gefahr der Abseitsfalle, wenn ein ungünstiger Winddreher einen aus dem Spielfeld hebelt.

Mit dem neuen Feature „Trainer Highlights“ von TacticalSailing lässt sich das Problem der Abseitsfalle (s. Geometrie des Regattasegelns S. 185ff) und die Veränderung des Spielfeldes ganz hervorragend visualisieren. Die folgenden Screenshots und die zugehörigen Erklärungen verdeutlichen dies.

Screenshot (27).png
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Feature „Trainer Highlights“, Menüpunkt Streckbug

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Bei leicht von links kommendem Wind startet Rot auf dem kurzen Bein (Steuerbordschlag), während Grün das lange Bein (Backbordschlag) gewählt hat. Beide segeln auf den jeweiligen Spielfeldgrenzen entlang.

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Bei der folgenden Rechtsdrehung des Windes wendet Grün, um auf dem Streckbug zu segeln, während Rot den Lift für einen höheren Kurs nutzt. Wie man sieht ist Rot durch den Rechtsdreher aus dem Spielfeld geraten, während Grün durch den drehenden Wind mitten in das Spielfeld hinein gehebelt wurde.

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Einen folgenden leichten Rückdreher nach links beantworten beide wieder durch eine Wende. Rot kommt dadurch zwar wieder ins Spielfeld, allerdings sehr am linken Rand mit wenig Spielraum. Ein weiterer Linksdreher würde Rot noch weiter an den Rand drängen oder eventuell sogar wieder aus dem Spielfeld hebeln.

Screenshot (22).png
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Der kurze Linksdreher endet und der Wind dreht wieder nach rechts. Grün leitet die Wende zum Steuerbordschlag ein. Wie wird Rot reagieren?

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Der Rechtsdreher bringt Grün nach seiner Wende wieder auf einen komfortablen Streckbug mit viel Annäherung. Rot segelt (zunächst) auf seinem Streckbug weiter in den Rechtsdreher hinein, um tiefer in das Zentrum des Spielfeldes hinein zu kommen.

Screenshot (24).png
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Grün ist kurz vor der Luvmarke und wendet zur (Steuerbordschlag-) Layline, auch um Rot zu kontrollieren. Selbst ein Linksdreher würde Grün dort kaum noch schaden. Mit ein wenig Überhöhe könnte er die Luvmarke ohne bedeutenden Verlust gut erreichen.

Foilsegler

Foilsegler durchbrechen die "Schallmauer" im Segelsport

  Foilsegler sind daran, die  Grenze von 100 Stundenkilometern zu durchbrechen, aber das ist doch noch längst nicht die Schallmauer. Natürlich geht es nicht um die echte Schallmauer, die liegt bekanntlich bei ca. 1200 km/h. Es geht vielmehr um die Tatsache, dass foilende Segelfahrzeuge heute Bootsgeschwindigkeiten erreichen, die derzeit bereits dem 2- bis 3-fachen der sie antreibenden Geschwindigkeit des wahren Windes entsprechen!

  Das alleine verändert den Segelsport bereits in vielen Bereichen gewaltig und stellt die Besatzungen vor immense Herausforderungen. Wegen des enormen Fahrtwindes wird auf Foilseglern auf allen Kursen praktisch nur noch mit Amwindsegelstellungen gesegelt. Dies bedeutet auch, dass eine Halse auf dem Downwind eigentlich eine Wende ist, da man mit dem Bug durch den (Fahrt-)Wind geht. Spezielle Segel für die Raum- bzw. Vorwindkurse gibt es nicht mehr. Zu den üblichen Trimmeinrichtungen von Rigg und Segeln kommen die Einstellmöglichkeiten der Foils hinzu. Die Mannschaften sitzen mit Helmen, Sprechfunk und  Schutzausrüstung in speziellen Cockpits, von wo aus sie ihren spezifischen Aufgaben nachkommen. Dabei stellen die hohen Geschwindigkeiten eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Leib und Leben dar, die entsprechende physische und psychische Stressfaktoren mit sich bringen.

  Aber die neue Entwicklung bringt vor allem auch eherne Grundsätze der Segeltaktik ins Wanken. Haben wir doch alle gelernt, auf dem Downwind nach hinten zu schauen, um Abwindkegeln von Verfolgern auszuweichen. Das ist auf Foilseglern falsch. Die Abwindkegel von Foilern auf Downwindkursen sind nach hinten in Richtung des Scheinbaren Windes gewandert, ich bekomme den schlechten Wind auf Downwind daher vom Gegner vor mir (s. Die Geometrie des Regattasegelns, 3. Auflage S. 225). Es gilt also, umzulernen, neu zu denken.

Abb 105 Downwind AbwindkegelScreenshot.png

  Und es gibt noch eine gewaltige Veränderung für die Strategie und Taktik: Foiler sind nämlich auf dem Downwindkurs so schnell, dass sie Windböen sogar überholen. Sie segeln nicht nur mit den Böen nach Lee mit, sie fahren nach Lee durch sie hindurch! Das bedeutet, dass der Taktiker an Bord auf Downwind den neuen Wind nicht hinten in Luv, sondern vorne in Lee voraus suchen muss.

  Es ist sogar möglich, den Winddreher, mit dem man vor wenigen Sekunden auf der Kreuz die Luvmarke erreichte und rundete, auf dem folgenden Downwind einzuholen und mit demselben Winddreher nach Lee zu rasen und weitere bereits vorher auf der Kreuz genutzte Böen und Dreher einzuholen. Und an der Leemarke angekommen, kreuzt man ebenfalls anfangs in denselben Böen und Drehern wieder auf, mit denen man eben noch nach Lee segelte. Eine völlig neue Dimension des taktischen Beobachtens und Denkens ist gefordert! Man könnte es fast ein Raum-Wind-Kontinuum nennen.

Räume stat.-takt. Entscheidungen
Räume strategisch-taktischer Entscheidungen im Regattafeld
September 2021

In der Dokumentation zur "Trainer Toolbox" der Software "Tactical Sailing" von Paul Gerbecks sind auf den Seiten 135ff übersichtlich die Positionen bedeutender strategisch-taktischer Entscheidungen im Regattafeld dargestellt (siehe Zeichnung).

Hier einige Erläuterungen dazu:

Die Darstellung zeigt eine Regattabahn   bei 2 unterschiedlichen Windrichtungen (Wind 0° bzw. Wind 15° von links) mit ihren jeweiligen Spielfeldern. Die Spielfelder sind jeweils durch ihre Lee- bzw. Luv-Anlieger begrenzt. Das "lange Bein" des schiefliegenden  Kurses ist rot hervorgehoben. Elf Punkte innerhalb der Spielfelder sind angegeben, die im Fol-genden näher erläutert werden.

Position 1: Vorstart und Start

Strategisch muss die bessere Bahnseite bezüglich Windstärke, Windrichtung, Wellen, Strömung und Hindernissen be-stimmt werden. Daraus resultiert die Wahl des strategischen Grundkonzepts (Mitte, Seite, Z-Kurs, Anlieger). Außerdem muss bei schief liegender Bahn der Streckbug bestimmt werden.

Um taktisch frühzeitig eine führende Position im Feld einzunehmen, sollte die 1. Wende nach dem Start geplant werden.

Position 4: Streckbug und Windachse

Strategisch ist jetzt wichtig, den Streckbug zu segeln und die Windachse genau zu peilen. Es geht in diesem ersten Drittel des Upwindkurses darum, die geplante Strategie umzusetzen, um alle sich bietenden Vorteile nutzen zu können.

Position 6: Lift und Header

Strategisch betrachtet bieten Lift und Header die besten Chancen, um Strec-kenverkürzungen herbei zu führen. Dabei müssen die Gefahren der Streckbugfalle bzw. der Abseitsfalle beachtet werden.

Taktisch gesehen ist eine gepinnte Posi-tion die größte Gefahr, wenn man wegen naher Gegner, auf Lifts oder Header nicht mehr reagieren kann.

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Entscheidungspositionen Trainer Toolbox.

Abbildung aus: Dokumentation zur Trainer Toolbox - Tactical Sailing, S. 115ff

Position 2: Pinnend und Commity Boat

Strategisch wird hier die bevorzugte Seite der Startlinie bestimmt. Taktisch gesehen ist es wichtig, bestimmte Gegner schon vom Start an im Auge zu behalten und u.U. in ihrer Nähe zu starten.

Position 3: Countdown

Strategisch wird man versuchen, einen Nullstart zu realisieren. Dazu muss die Zeit exakt genommen werden und mittels einer Peilung über Startmast und Pinnend zu einer Landmarke, der Abstand zur Linie genauestens gepeilt werden.

Taktisch steht vor allen Dingen die Herstellung einer Lücke nach Lee beim Start im Vordergrund, um schnell und ungehindert beschleunigen zu können.

Position 5: Switchpoint und Risikozonen

Aus strategischer Sicht ist die Lage des Switchpoints von besonderer Bedeutung, dahinter beginnen die Zonen erhöhten Risikos. Fast jeder jenseits des Switchpoints erfolgende Header, sollte aus strategischen Gründen mit einer Wende auf den neuen Streckbug beantwortet werden. Lifts jenseits des Switchpoints führen u.U. in die Streckbugfalle bzw. Außen-banane.

Taktisch sollte man das Risikoverhalten der wichtigen Kon-kurrenz in diesem Raum um den Switchpoint genau beob-achten und gegebenenfalls darauf reagieren.

Position 7: Spielfeld (Kreuzdiamant)

Die Entwicklung der Form des eigenen Spielfeldes zu beobachten, ist strategisch gesehen besonders wichtig, da ein schmales, lang gestrecktes Spielfeld kaum noch Möglichkeiten zur Reaktion bietet, um auf Winddrehungen gewinn-bringend zu reagieren.

Position 8: Querabstand und Hebel

Querabstand und Hebel sind die typischen taktischen Waffen, um als Verfolger anzugreifen. Der Führende dagegen sollte Querabstände und Hebel seiner Verfolger möglichst klein halten, um seine Position zu verteidigen.

Position 9: Cross, Tack or Duck und Abkassieren

Immer wieder kommen auf der Kreuz "Cross, Tack or Duck" Entscheidungen auf den Segler zu. Strategisch kommt es darauf an, die eigene Strategie nicht unbedacht wegen einer solchen Situation aufzugeben. 

Taktisch kann es nach einer erfolgreichen Hebelsituation sinnvoll sein, den Gewinn durch ein Crossmanöver zu realisieren und diesen Vorteil quasi "einzufahren".

Position 10: Currywende

Ein typisches taktisches Mittel eines führenden Bootes ist nach der Rundung der Leema-rke, sich durch eine frühe Wende zwischen die später rundenden Gegner und die nächste Marke zu legen, also eine sog. Currywende zu machen.

Position 11: Wegerecht und Abdeckung

Im letzten Drittel einer Kreuz muss die Annäherung an die Luvmarke vor allem taktisch geplant werden. Da die Boote wieder näher zusammenrücken, müssen Abdeckungsräume gemieden werden, die Layline darf, sowohl aus strategischen wie auch aus taktischen Gründen, nicht zu früh angesegelt werden. Der letzte Dreher vor der Luvmarke muss wie ein permanenter Dreher angesegelt werden.

Streckbug und Switchpoint
Streckbug und Switchpoint

"Segle das lange Bein zuerst" - diese Daumenregel zum Streckbugsegeln kennt bestimmt jeder Regattasegler bereits aus seinen ersten Anfängen. Es ist scheinbar eine der einfachsten strategischen Regeln, deren Befolgung laut etlicher Taktikbücher mehr Chancen eröffnen soll, als wenn man den kurzen Holebug zuerst segelt.

Ganz so einfach, wie viele glauben ist die Sache mit dem Streckbug allerdings nicht, es lohnt sich, die geometrischen Zusammenhänge doch einmal etwas genauer zu betrachten.

  In der Zeichnung rechts ist eine 1000m (10cm) lange Kreuz dargestellt. Der Wind kommt 15° von links, wodurch der Steuerbordbug zum "langen Bein" wird. Diese "lange Bein" von 866m Länge wird meistens mit dem Streckbug gleichgesetzt. Diese Annahme ist allerdings falsch!

  Der Streckbug ist definitionsgemäß  der Amwindschlag, der einen näher zur Tonne bringt als der andere Amwindschlag. Daher endet der Streckbug am sogenannten Switchpoint. An dieser Stelle "switcht" der Streckbug zum Holebug, da die Peilung von der Kurslinie zur Luvtonne am Switchpoint dem Amwindwinkel (hier 45°) entspricht und beim Weitersegeln immer weiter anwächst. Der Switchpoint liegt auf der Windachse, also direkt in Lee der Luvtonne. Vom Switchpoint aus hat man ein gleichschenkliges Dreieck (Switchpoint-Anliegerwende-Luvtonne) und damit keinen schiefen Kurs mehr vor sich. Die sehr gute Annäherung (DMG) auf dem Streckbug ist durch die konzentrischen Kreise deutlich sichtbar. Auf 365m Streckbug nähert man sich der Luvtonne fast 300m weit an. Auf dem folgenden Holebugteil des "langen Beins" würde man auf 501m nur gerade mal noch 200m Annäherung gut machen.

Die Daumenregel sollte also besser lauten:

Segle zuerst auf dem "langen Bein" bis zum Switchpoint.

(Video)

Boot_Die_Geometrie_des_Regattasegelns.jp

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, März 2017

Kein Platz mehr an der Linie

Plötzlich ist kein Platz mehr an der Startlinie

Jeder Regattasegler kennt das Problem: die Startlinie liegt korrekt, im 90°-Winkel zum Wind. Die Segler stehen aufgereiht mit Wind von Steuerbord nahe an der Linie, jeder hat genügend Platz, die letzte Minute bricht an und dann dreht der Wind unvermittelt um 10° nach links. Es wird eng und hektisch, der vorher enge, aber ausreichende Platz für einen guten Start schwindet. Berührungen drohen, Starter in Lee schieben vor und könnten die sichere Leestellung einnehmen. Der gute Start ist in Gefahr. Wieso gibt es plötzlich zu wenig Platz an der Linie? Wie sieht diese Situation eigentlich geometrisch aus? Dies lässt sich an den beiden Zeichnungen sehr gut ablesen.

Die beiden Zeichnungen zeigen einen 12 m breiten Ausschnitt einer Startlinie (rot). Im linken Bild kommt der Wind (grün) aus 0°, also senkrecht zur Startlinie. Auf den 12 Metern könnten in vier ca. 2 m breiten Korridoren beispielsweise vier 470er-Jollen (Breite 1,68 m) nebeneinander starten. Dabei stehen aufgrund des Amwindwinkels von 45° jedem Starter 2,83 m der Startlinie zur Verfügung.

Im rechten Bild hat der Wind 10° nach links gedreht; alle Starter müssen die Linie in einem wesentlich spitzen Winkel überqueren. Daher nimmt jeder einzelne jetzt einen Abschnitt von ca. 3,5 m der Startlinie in Anspruch. Dies bedeutet, dass auf den 12 m Startlinie nur noch drei Boote Platz finden (3 mal 3,5 m=10,5 m), einer der vorher vier aussichtsreichen Starter wird eine böse Überraschung erleben und einen schlechten Start erleben.

Hochgerechnet auf eine 200m lange Startlinie bedeutet dies:

 Bei einer ideal liegenden Startlinie finden ca. (200: 2,83=)  70 Starter einen 2m breiten Korridor für einen erfolgversprechenden Start. Kommt der Wind aber um 10° von links auf die Linie, passen auf die 200m lange Startlinie nur noch (200:3,5=) 57 Starter. Für 13 Boote (~18%) der (Backbord-)Starter gibt es also gar keinen Platz mehr. In umgekehrter Weise verbessert sich natürlich für Starter auf dem Steuerbordbug die Situation, sie bekommen durch den Linksdreher mehr Raum auf der Startlinie. Dies gilt es natürlich zu nutzen, sofern die Wegerechtssituation es möglich macht und der strategische Plan es nicht ausschließt, zur rechten Bahnseite zu segeln.

Auch den Wettfahrtleitungen kann man nur nahelegen, sich dieser schwierigen Situation für die Segler bewusst zu sein und entsprechende  Vorkehrungen zu treffen (Linie mit Reservelänge, Beobachtung des Windverhaltens, in krassen Fällen Neustart, usw.)

Platz an der Startlinie 90° Wind.jpg
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Zeichnung: Tilo Schnekenburger, Nov 2022

Platz an der Starlinie 10°.png
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Zeichnung: Tilo Schnekenburger, Nov 2022

Neutralisieren sich eigentlich ein Links- und ein Rechtsdreher?

Links- Rechtsdreher

Eine der Fragen, die unter Regattaseglern immer wieder einmal diskutiert wird, ist, ob sich im Lauf einer Kreuz zwei Winddreher um den gleichen Betrag nach links bzw. rechts um die mittlere Windrichtung eigentlich gegenseitig neutralisieren.

Eine geometrische Betrachtung ist bestens geeignet, diese Frage zu beantworten.

In der Zeichnung sieht man eine Situation, in der zwei Segler (Blau und Grün) an einer neutral zur herrschenden Windrichtung liegenden beispielsweise 200m langen Startlinie (2m) links bzw. rechts auf Steuerbordbug starten. Grün erreicht nach 350m den Rechtsdreher (15°) und wendet. Blau bekommt den Dreher etwas später, da er den längeren Weg hatte und wendet dann ebenfalls.

Beide nehmen den Dreher mit, bis sie vom gegenläufigen Winddreher, der dann 15° von links der mittleren Windrichtung kommt, erreicht werden. Diesen Wind kann Blau 370m weit bis zum Anlieger nutzen, während Grün diesen Dreher nur 280m bis zum Anlieger nutzen kann.

Addiert man alle Streckenabschnitte, erkennt man, dass Grün 1362m weit zu segeln hatte, während Blau nur 1315m weit zur Luvmarke unterwegs war. Blau hat aus geometrischen Gründen also ca. 10 Bootslängen Vorsprung (Laser oder 470) gegenüber Grün.

Warum ist das so? Wäre der Rückdreher nur bis zur ursprünglichen neutralen Windrichtung erfolgt, hätte Grün die Luvboje zuerst erreicht, da er auf der Seite des Drehers war. Dadurch, dass der Rückdreher aber um 30°, bis 15° nach links der ursprünglichen Windrichtung erfolgte, schlug hier der Vorteil des letzten Winddrehers vor der Luvboje zu Buche. Dies untermauert ein wesentliches strategisches Prinzip beim Regattasegeln: Segle den letzten Schlag zur Luvmarke möglichst in einem Lift.

Dreher und Rückdreher.png

Zeichnung: Tilo Schnekenburger, Feb 2023

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Downwindbeginn

Die Frage am Beginn des Downwind

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