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Artikel zum Segeltraining

Pädagogik und Segeltraining

aus: Talent und Leistungsförderung 98, Landes-Segler-Verband BW

 

Auch das Leistungstraining junger Nachwuchssegler ist ein pädagogischer Prozess. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser auch positiv verläuft.

In einem pädagogischen Prozess steht immer die Entwicklung des Heranwachsenden im Vordergrund.

Im pädagogischen Prozess geht es um die Herausbildung von immer mehr Handlungskompetenzen für die im Alltag auftretenden Anforderungen und Probleme zum Wohl des jungen Menschen in seiner Gesamtheit.

Dabei ist der Leistungssport nur ein Aspekt der persönlichen Leistungsentwicklung, auf den wir allerdings in besonderem Maße einwirken können.

 

Als übergeordnetes Leitziel kann für uns gelten, dass wir dann erfolgreich mit einem jungen Menschen gearbeitet haben, wenn er später als Erwachsener rückblickend, die Zeit im Verein XY positiv beurteilt, er sich gut aufgehoben gefühlt hat, dass es eine schöne Zeit war, dass der Sport vielleicht etwas gegeben hat. Solche Aussagen sollten nicht nur von den erfolgreichen, sondern gerade auch von den erfolglosen (aus leistungssportlicher Sicht) Kindern und Jugendlichen gemacht werden. Ein besonderes Augenmerk gilt aber besonders den Spitzenathleten nach Ende ihrer Karriere. Nicht selten stellen gerade sie ihren hohen Einsatz oftmals nachträglich in Frage.

 

Das Image des Sports in der Gesellschaft wird in der Kindheit geschaffen. Wir Trainer, Übungsleiter, Funktionäre sind für die Akzeptanz des Sports selbst verantwortlich.

 

Aus einer Masse früh zu einer speziellen Sportart oder Disziplin gebrachter Kinder entsteht nicht zwingend der leistungssportlich orientierte Nachwuchs, den wir uns wünschen; im Gegenteil. Quer- und Späteinsteiger sind langfristig gesehen motivierter und treuer und erfolgreicher. Sie sind häufiger intrinsisch motiviert.

 

Je jünger Kinder in eine Sportart einsteigen, besonders, wenn deren Höchstleistungsalter wie im Segeln deutlich jenseits der 20 liegt, desto länger ist die Phase des Durchhaltens bis dorthin, umso größer ist die Gefahr des Drop Outs. Wir verlangen eine enorme Beharrlichkeit von den Kindern. Die Konkurrenz der Sportarten ist immens. In solchen Sportarten sollte die Ausbildung offen, mehrdimensional und mehrperspektivisch sein. Der Basis eines breiten Grundlagentrainings ist ein großer Raum zu geben. Insbesondere stark normierte Sportarten wie LA, Schwimmen oder Turnen haben hier ein besonderes Problem. Das Segeln ist an sich sehr offen, mehrdimensional und mehrperspektivisch, wir sollten uns hüten, durch Engstirnigkeit, Klassenklüngel, Vereinsdünkel und Traineregoismus, verschlossen, einfältig und perspektivlos auf die Kinder zu wirken. Wir sollten freie Elemente, Überraschungseffekte und Spielformen genauso wie andere Sportarten nutzen, um pädagogisch zu wirken.

Zeit verlieren um Zeit zu gewinnen (Rousseau).

Je jünger Kinder sind, desto mehr profitieren sie vom positiven Transfer des Bewegungsrepertoires einer Sportart auf eine andere (Gleichgewicht, 49er, Surfer).

 

Wir Erwachsene haben Mühe, uns in die Welt der Kinder und Jugendlichen zu versetzen. Junge Trainer und Übungsleiter haben hier große Vorteile.

Erwachsene denken in Defiziten: er kann dies noch nicht, bei ihr ist jene Bewegung noch nicht perfekt; Jens ist noch zu klein, Angelika noch zu leicht. Er kennt die Regeln noch nicht usw. Wir sehen Kinder und Jugendliche als Provisorium an und sagen ihnen dies auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Die Kindheit ist aber kein Provisorium, die Kinder leben in ihrer Gegenwart, die Nachdenklichkeit über die Zukunft ist das Privileg der Erwachsenenwelt. Die Kinder bestimmen mit ihren Theorien ihr eigenes Handeln. Man kann nur appellieren: hinschauen und zuhören.

Kinder haben Ängste (Märchen), Kinder registrieren und empfinden stärker.

Wir handeln kindgerecht, wenn wir ihr motorisches Verhalten akzeptieren, ihre kindlichen Lösungen annehmen und ernstnehmen. Kinder üben und trainieren nicht für ihr selbstorganisiertes Spiel, denn sie leben in der Gegenwart und nicht in oder für die Zukunft.

Das Trainieren für ein zukünftiges Ziel müssen sie im pädagogischen Prozess erst behutsam lernen. Statt zu trainieren wollen Kinder das Spiel verändern, wir sollten viel mehr darauf eingehen.

Kästner: Nur wer erwachsen wird und dennoch Kind bleibt, ist ein Mensch.

 

Wettkämpfe: Das Wettkampfsystem sollte für die jüngeren Sportler neu strukturiert werden. Beim Segeln betreiben die Jüngsten denselben komplexen Wettkampf wie ein Olympiateilnehmer, sogar in größeren Feldern, teilweise sogar mit mehr Wettfahrten pro Tag. Vereinfachte, kindgemäße Regeln finden keine Anwendung. Wettkämpfe für Kinder sollten Feste sein. Kreativität ist gefragt. Spiel- und Sportfeste bei denen das Fest und nicht der Konkurrenzgedanke im Vordergrund stehen wären eine Alternative. Häufig handeln Kampfrichter unpädagogisch (Schiedsgerichtsverhandlungen laufen selten kindgemäß, aber fast immer juristisch einwandfrei ab). Auch in den Wettkämpfen spiegelt sich das nach Defiziten suchende Denken und Handeln der Erwachsenen wider. Dauernd wird der Vergleich zu den Spitzensportlern hergestellt.

  Kinder sollten aber versagen dürfen, Kampfrichter müssen auch ein Auge zukneifen können. Der positive Umgang mit Sieg und Niederlage stärkt das Selbstbewusstsein und sorgt für Wettkampfstabilität. Ein Kind, das nie gelernt hat zu verlieren, wird mit steigender Wettkampfschwierigkeit die Angst zu verlieren immer stärker aufbauen, ohne damit umgehen zu können. Auch das Verlieren muss gelernt und trainiert werden, denn es gehört zum Leistungssport untrennbar dazu. Also müssen wir Fehler in Kauf nehmen.

Einen Fehler zu machen ist grundsätzlich etwas Positives, denn daraus kann man lernen, wer von sich aus nie Fehler macht, braucht nicht zu lernen oder zu üben. Gerade wir Trainer sollten unsere Einstellung gegenüber Fehlern unserer Aktiven überdenken. Die Fehler zur positiven Reflexion zu benutzen ist unsere Aufgabe. Ohne Fehler sind wir unnötig.

Offene Wettkampfformen und lockere Regeln bereiten das Feld für den lockeren Umgang mit Fehlern. Sie machen auch eine spezielle Talentsuche weitgehend unnötig, solange man als Trainer diese offenen Wettkämpf mit fachlichem Auge verfolgt, wird man die Talente ebenso sicher erkennen, wie mit sog. sachgerechten Talenttests.

 

Bewegungsleben: Ein Bewegungsleben der Kinder in ihrer Freizeit besteht heute kaum noch. Zu sehr sind heute körperlich passive, mediale Freizeitaktivitäten wie Gameboy, PC, Fernsehen, Video usw. zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Frage ist, ob die Vereine die Defizite an Bewegungserfahrungen der Kinder auffangen können. Auf jeden Fall müssen wir Angebote für Bewegungserlebnisse machen und Freude am Sich-Bewegen und Sporttreiben vermitteln. Bewegungsfertigkeiten entstehen durch das Lösen von Bewegungsaufgaben, durch Erproben und durch Fehlermachen. Wir müssen Freiräume zur Selbsterfahrung schaffen. Je jünger Sportler sind, desto mehr muss aufgabenbezogenes Lehren und Lernen im Vordergrund stehen. Das sind keine Umwege, sondern motivierende, intensive und erfolgreiche Auseinandersetzungen mit Lerngegenständen. Der Weg ist das Ziel. Aufgabenschwierigkeiten sind so zu wählen, dass sie bei mittlerer Anstrengung lösbar sind. Der Lernende steht im Mittelpunkt des Lernprozesses. Wir müssen das natürliche, angeborene Leistungsstreben der Kinder nützen, lassen wir sie experimentieren.

Heute neigt man dazu, das Lernen zu verschulen. Lernen muss programmierbar sein, das ist falsch. Lernen ist ein individueller Prozess, in den jeder seine eigenen Erfahrungen, Motivationen, Fähigkeiten und Kenntnisse einbringt; hier gibt es kein vorgefertigtes pädagogisches Schema, nach dem man einen programmierten Unterricht abhalten kann. Lernen muss selbstgesteuert (unter helfender Anleitung und Anregung) bleiben. Lernen im Sport hat ein dialogisches Prinzip, sportliche Techniken sind Antworten auf Fragen und Probleme der Sportart. Wir müssen uns vor einer Vermethodisierung um der Methoden willen hüten (Video nur einzusetzen, weil ich es lange nicht mehr benutzt habe oder weil der Trainer XY es auch immer benutzt).

Gerade bei langsam Lernenden oder wenn Lern- oder Leistungsplateaus auftreten, sollten wir statt viele Informationen zu geben und den Lernenden taubzureden die Aufgabenstellung geschickt variieren. Wenn wir ein Problem nicht lösen können, dann müssen wir das Problem ändern. Die schulische Vorbildung der Kinder ist bei der Wahl der Themen bzw. bei deren Vermittlung unbedingt zu beachten. (Winkel, %, englische Ausdrücke)

 

Strukturmerkmale des Segelns:

In diesem Zusammenhang ist von besonderem Interesse, sich die Strukturmerkmale einer Sportart klarzumachen. Also wie sind die Anforderungen an Kondition, Koordination, Psyche. Wie erfolgt die Leistungsmessung? Ist die Leistungsmessung normiert, existiert beispielsweise ein absoluter Weltrekord, wie es im Schwimmen oder in der Leichtathletik normal ist oder erfolgt der Leistungsvergleich relativ. Dann ist immer der aktuelle Gegner das Maß, es gibt keine seit Jahren bestehenden Weltrekorde und keine in Metern oder Sekunden ausgedrückten Olympianormen. All diese Dinge sind pädagogisch relevant und haben Folgen für methodisch-didaktische Entscheidungen, vor allem aber auch für das pädagogische Vorgehen.

Drop Out

 DropOut, Ein Problem für Trainer, Vereine, Eltern und Aktive
Tilo Schnekenburger (veröffentlicht März 1990 in T&L-Förderung 90, S. 66-73 des Landes-Segelverbandes BW)

 

Drop Out, in der Sportwissenschaft auch als Talentverlust, Laufbahnabbruch oder Ausstieg bezeichnet, ist im Leistungssport aller Sportarten ein Problem, dem sich alle Betroffenen stellen müssen.

 Der Aktive, der einen beträchtlichen Teil seines bisherigen Lebens und erhebliche finanzielle Mittel für ein einziges Ziel aufgewendet hat, das er heute nicht mehr erreichen will, die Vereine und Verbände, die mit jedem verlorenen Talent nicht zuletzt wegen der investierten öffentlichen Gelder und der Mitgliedsbeiträge an Glaubwürdigkeit verlieren, die Eltern, die beobachten müssen, wie ihr Kind im Vorfeld des eigentlichen Drop Out im Sport keinen Spaß und keine Selbsterfüllung mehr findet, sondern lustlos und unglücklich, oft voller Gewissensbissen und nicht selten unter dem Verlust von Ansehen und Freunden seiner Sportart den Rücken kehrt. Der Trainer schließlich, der beruflich vom Erfolg seiner Talente abhängig ist, hat einen Großteil seiner Arbeit in das Talent investiert und muss ohnmächtig zusehen, wie ihm der Sportler entgleitet.

 Aus der sportwissenschaftlichen Literatur lassen sich 4 Gruppen von Beweggründen herausarbeiten, die für Drop Outs verantwortlich sind (siehe hierzu auch das Schema über DROP-OUT Ursachen unten):

1. SOZIOLOGISCHE GRÜNDE, also Situationen, die aus dem gesellschaftlichen Umfeld heraus zum Drop Out führen,

2. PSYCHOLOGISCHE GRÜNDE, d.h. Gründe für den Ausstieg, die mehr im Inneren des Aktiven, in seiner Empfindung liegen,

3. MEDIZINISCHE GRÜNDE, hierzu gehört alles, was z.B. mit Verletzungen zu tun hat und schließlich

4. TRAININGSMETHODISCHE GRÜNDE, also Gründe, die im Trainingsbetrieb, aber auch im Wettkampfsystem der jeweiligen Sportart begründet liegen.

 

 Ganz sicher ist, dass keiner dieser Gründe für sich gesondert vorkommt, im allgemeinen werden Verletzungen in der Folge auch eine Angst vor weiteren  Verletzungen nach sich ziehen, also korrespondieren medizinische mit psychologischen Gründen, ebenso ziehen soziale Konflikte psychische nach sich, medizinische Maßnahmen haben auch immer Einfluss auf die Trainingsmethodik, so dass alles miteinander in einem Wirkungsgefüge steht und es nicht immer leicht ist, Ursache und Wirkung voneinander zu unterscheiden.

 

 Im Folgenden will ich versuchen, diese aus der allgemeinen Sportwissenschaft bezogenen Überlegungen auf das Regattasegeln zu übertragen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema hat es nach meinem Kenntnisstand in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum nicht gegeben, daher ist der vorliegende Aufsatz höchstens als ein Einstieg in dieses äußerst komplexe Thema zu verstehen, er kann nur Diskussionsgrundlage und Ansatzpunkt für wissenschaftliche Untersuchungen sein, denn er stellt lediglich einen Erfahrungsbericht aus unserer langjährigen  Trainingsarbeit im LSV Baden-Württemberg dar und ist keinesfalls durch wissenschaftlich untermauerte Erkenntnisse gesichert (siehe hierzu auch Schema DROP-OUT Ursachen weiter unten.

 

 

GRÜNDE FÜR DROP-OUTS IM SEGELSPORT

 

 MEDIZINISCHE GRÜNDE sind beim Segeln wohl nur in Einzelfällen für Drop-Outs verantwortlich. Knie- und  Wirbelsäulenbeschwerden, sowie Allergien gegen Seewasser, Sonne und Neopren sind einige segeltypische Gründe. Allerdings bietet der Segelsport durch das breite Angebot unterschiedlicher Bootstypen die Möglichkeit, durch Umstieg in eine andere Bootsklasse die schmerzbereitenden Haltungen zu vermeiden. Hier ist der Trainer besonders gefordert, im Gespräch mit dem Therapeuten und dem Athleten rechtzeitig Beschwerden zu erkennen und durch geeignete Trainingsmaßnahmen zu beseitigen, damit kein Drop-Out vorkommt.

 

 Man erkennt hier bereits wieder, dass die medizinischen Gründe oft auf die TRAININGSMETHODISCHEN GRÜNDE übergreifen. Unter diesen werden alle jene Gründe zusammengefasst, die in fehlerhaften Trainingsmethoden ihren Ursprung haben. So ist zu beobachten, dass Segler aus verschiedensten Gründen im falschen Boot sitzen, wenn etwa in einem Verein Laser zur Verfügung stehen, besteht die Gefahr, dass ein nur 50 kg schweres 15-jähriges, evtl. hoch talentiertes Mädchen mit dem Segelsport Schluss macht, nur weil es mit dem Boot nicht mehr zurechtkommt, wenn es 4 und mehr Bft. hat. Sinngemäß gilt dies selbstverständlich auch für eine 160 kg schwere 420 Mannschaft, die in einer Trainingsgruppe hoffnungslos hinterher segelt, weil sie bei wenig Wind einfach nicht die hohe Geschwindigkeit segeln kann wie eine leichte Crew. Auch überehrgeizige Übungsleiter und Trainer können die jungen Sportler überfordern und zum Drop-Out treiben, wenn sie mit zu umfangreichen oder zu anspruchsvollen Trainings und Trainingsformen ihre Talente möglichst schnell zur Spitze führen wollen und dabei die lern- und entwicklungspsychologische Situation der überwiegend Kinder und Jugendlichen nicht beachten.

 Aus unserer Erfahrung lassen sich allerdings die weitaus meisten Drop-Outs beim Segeln auf die beiden anderen Gruppen, die PSYCHOLOGISCHEN bzw. die SOZIOLOGISCHEN GRÜNDE zurückführen. Das ist aus der Erfahrung heraus zu begründen, dass mit zunehmender Leistung im Segeln die Psyche steigende Bedeutung gewinnt und letztlich zu einem der wichtigsten leistungsbestimmenden Faktor wird. Es ist dies klar aus der Tatsache abzulesen, dass es im Segelsport kaum Sieger bei WMs oder Olympischen Spielen gibt, die jünger als 25 sind, obwohl mancher Jüngere sicherlich mehr Stunden zum Training auf dem Wasser verbringt und über eine bessere physische Kondition verfügt als die "reiferen" Jahrgänge. Psychologische und soziologische Gründe greifen in der Realität so häufig ineinander, dass ich sie hier auch gemeinsam abhandeln will. Psychologische Kernpunkte der Betrachtung sind Motivations- und Aggressionsprobleme, d.h. das Spannungsfeld der Motive im Athleten, die einerseits Hoffnung auf Erfolg bzw. Furcht vor Misserfolg sowie andererseits den Aufbau und das positive, förderliche Ausleben von Aggressionen trotz aller Frustrationen und der Suche nach Kameradschaft auch unter den Gegnern nähren. In der Psychologie wird ein solches Neben- und Gegeneinander von Motiven als Motivkonflikt bezeichnet. Während es für die Entstehung und die Stärke der Aggression in der Wissenschaft viele Erklärungsansätze gibt, scheint bezüglich des Leistungsmotivs weitgehend Einigkeit darin zu bestehen, dass besonders eine frühe Selbständigkeitserwartung seitens der Eltern das Leistungsmotiv im Kind fördert.

 Eine tragende Rolle bei der Ursachenerkennung für Drop-Outs muss die Frage nach der Selbstverantwortung für Erfolg oder Misserfolg spielen. Die Psychologen nennen das die interne Kausalattribuierung. Meines Erachtens ist gerade der Segelsport, mit seinem hohen Aufwand an Spitzentechnik besonders anfällig für fehlgeleitete Ursachenanalyse von Regattaergebnissen. Wegen der hohen Materialabhängigkeit flüchten sich viele Segler, aber nicht selten auch ihre Trainer und ihre Eltern, all zu oft in Ausflüchte, wie falsche Segel, weiche Masten, durchgesegelte Bootsschalen usw.. Zu selten werden die Gründe für die schlechten Ergebnisse in eigenen Fehlern, wie mangelndem seglerischen Können und Talent, fehlender Wettkampfeinstellung, taktischen Fehlern und derlei Dingen gesucht. Dabei beweisen die strengen Einheitsklassen wie etwa der Laser oder der Mistral One Design, die nicht mit Material experimentieren dürfen, wie gravierend die seglerischen Unterschiede sein können, dass trotz nahezu vollkommener Materialgleichheit letztlich eben doch immer die Gleichen  vorne sind und das nicht selten mit schier unglaublichen Zeitabständen zum Feld. Es sind diejenigen, die eben die besseren Segler sind.

 

 

 Im Folgenden will ich versuchen, in 7 Lebensbereichen der Segler die Konstellationen herauszuarbeiten, die erfahrungsgemäß für Drop-Outs verantwortlich sind.

 

1. Lebensbereich: ELTERNHAUS

Im Bereich des Elternhauses sind wohl hauptsächlich die folgenden Situationen geeignet, einen jungen Segler zum Drop-Out zu bringen:

- Zu großer Leistungsdruck von Seiten überehrgeiziger Eltern und der moralische Appell, wenn schon  so viel Geld ausgegeben wird, muss auch etwas dabei herausspringen.

- zu geringes Interesse der Eltern, bzw. fehlende Bereitschaft, bei steigender Leistung das notwendige Engagement zu bringen.

 

2. Lebensbereich: SCHULE und BERUF

- Der Hauptpunkt hier ist der Konflikt zwischen Schule/Beruf und dem hohen Engagement im Sport. Irgendwann muss sich jeder verantwortungsbewusste junge Mensch fragen, ob der hohe Zeitaufwand für das Segeln noch zu rechtfertigen ist, wenn Schule/Beruf darunter in zunehmendem Maß zu leiden hat.

 

3. Lebensbereich: FREIZEIT

- Dies ist ein ganz wichtiger  Punkt, der gerade heute bei zunehmender Freizeit und Kommerzialisierung in der Freizeit nicht unterschätzt werden darf. Jeder junge Mensch hat das Bedürfnis, im Rahmen seiner Entwicklung in seiner Altersgruppe alle möglichen Erfahrungen zu sammeln; das muss auch einem jungen Sportler zugestanden werden, auch wenn diese Interessen oft weder den Eltern noch dem Trainer gefallen. Ein Jugendlicher, der ständig von der Disco ferngehalten wird mit dem Argument er müsse  trainieren, wird seinen Sport nicht lieben, denn er schließt ihn aus.

 

4. Lebensbereich: DAS EIGENE ICH

- Wer durchhalten soll vom Freizeitsegler bis zum Hochleistungssportler wird oft seine persönliche Faulheit, den Gedanken „warum soll ich mich eigentlich anstrengen“ überwinden müssen. Irgendwann erreicht jeder Spitzensportler einen gewissen Sättigungsgrad. Diejenigen, die recht früh große Erfolge haben, werden davon häufiger betroffen, als andere.

- Durchhalten wird der, der aus der sportlichen Betätigung selbst heraus seine Bestätigung findet und nicht sekundäre Motivationen wie Geldpreise, Lob von Trainern und Eltern, Ehrennadeln des Vereins, Erwähnung in der Heimatzeitung und derlei Dinge braucht.

- Misserfolge, die sich aus unrealistisch gesetzten Zielen ergeben, führen zur Angst vor Misserfolg, einem der schwersten Hemmnisse für eine erfolgreiche Laufbahn gerade im Segeln.

 

5. Lebensbereich: DAS TRAINING

- Das Training aller jungen Leistungssportler muss darauf ausgerichtet sein, dass sie im besten Leistungsalter auch ihre höchste Leistungsfähigkeit aufgebaut haben.

-Daher muss jede Trainingsphase altersgemäß und leistungsgemäß im Hinblick auf das Hochleistungsalter aufgebaut sein.

-Übernahme von Trainingsinhalten und -methoden der Erwachsenen, sowie zu frühe Spezialisierung, einseitige, langweilige Trainingsformen, dauernde psychische und physische Grenzbelastungen, ständigen Wettkampfstress nennt man das "Verheizen" von Talenten.

- Günstige Entwicklungsphasen müssen für psychisch oder physisch passende Schwerpunkte der sportlichen Ausbildung genutzt werden. Sehr große Erfolge in jungen Jahren bergen die Gefahr der Leistungsstagnation in der Folge. Stagnation wird als Misserfolg bewertet, der Sieger wird zum Verlierer.

 

6. Lebensbereich: DER VERBAND, DER KADER

- Die Kaderzugehörigkeit übt auf die jungen Leistungssegler selbstverständlich einen ungeheuren Anreiz aus. Viele sehen darin ihr ganzes Bestreben, zu einem Kader zu gehören. Darüber werden allerdings oftmals die Verpflichtungen und der zusätzliche Druck, der auf Kaderathleten lastet,  vergessen. Es wird leider oft von jungen Nachwuchssportlern wie auch von Seiten anderer Betroffener (Eltern, Übungsleiter oder Vereinsvorstände) die Kaderaufnahme als Belohnung für erbrachte Leistungen verstanden. Es muss aber immer wieder betont werden, dass nur diejenigen in Kader gehören, die eine Perspektive haben, die zusätzlich zu dem, was sie bisher bereits trainiert haben, durch weitergehende Maßnahmen und finanzielle Förderung, eine nochmalige Leistungssteigerung erwarten lassen. Dementsprechend ist der Leistungsdruck, dem ein Kaderathlet ausgesetzt ist, höher, vor allem aus der Verantwortung heraus, diesen zusätzlichen Erwartungen gerecht zu werden. Gerade das ist eine Situation, der junge Segler, wenn sie erst wenige Jahre dabei sind, nicht sofort standhalten können. Die Fähigkeit, diesem Druck nicht nur standzuhalten, sondern ihn sogar positiv zur Leistungssteigerung für sich auszunutzen, ist nicht von Anfang an vorhanden, sondern sie wächst im Laufe der sportlichen, wie auch der biologischen Entwicklung erst heran. Von Seiten der Verbände muss dem dadurch Rechnung getragen werden, dass die Hinführung zur Spitzenleistung allmählich erfolgt, dass den anspruchsvollen Kadern Trainings- und Fördergruppen mit geringeren Anforderungen vorgeschaltet sind, so dass sich die Sportler langsam an die steigenden Belastungen gewöhnen können. Nur so lassen sich Drop-Outs wegen zu hohem Erwartungsdruck vermeiden.

- Die Leistungs- und Wettkampfstruktur des Verbandes spielt eine erhebliche  Rolle bei der sanften Heranführung von Talenten an den Hochleistungsbereich im Spitzensport. In den meisten Sportarten ist es üblich, dass sich Talente zuerst auf unterster Ebene, im eigenen Verein, dann im Kreis, anschließend auf mittlerer Ebene in der Region und im Bundesland, dann auf hoher Ebene im nationalen Bereich bewähren müssen, bevor die höchsten Anforderungen mit EMs, WMs oder OS auf sie warten.

Leider ist diese hierarchische Struktur beim Segelsport absolut nicht gegeben. Bereits unsere jüngsten Segler können sich auf höchster internationaler Ebene mit anderen messen, allzu oft werden diese Erfolge hochgejubelt von stolzen Eltern, Trainern und Vereinen. Was haben diese jungen Talente noch für eine Perspektive? Sie haben alles erreicht, was zu erreichen war, sie können nur noch "verlieren". Kein Wunder, wenn sie aussteigen.

Den gleichen Widerspruch stellt für mich die Qualifikation zur Deutschen Jugendmeisterschaft in den Jugendmeisterschaftsklassen dar. Die Anforderungen sind höher, als diejenigen für den Start bei einer Deutschen Meisterschaft. Das ist doch eine verkehrte Welt, wenn dem Nachwuchs so hohe Hürden in den Weg gestellt werden, dass sie den Start bei einer Deutschen Meisterschaft leichter schaffen, als den bei ihrer DJM.

 

7. Lebensbereich: DIE GESUNDHEIT, DER KÖRPER

- Dieser letzte Bereich stellt glücklicherweise für den Segelsport einen verhältnismäßig unbedeutenden Grund für Aussteiger dar. Im Gegensatz zu anderen Sportarten gibt es beim Segeln nur wenige körperliche Abnutzungserscheinungen, die bei entsprechendem Training sehr gut in den Griff zu bekommen sind. Dennoch gibt es Momente, in denen auch junge Segler durch Knieprobleme, Rückenschmerzen, aber auch Erkältungsempfindlichkeit gezwungen sind, das leistungsmäßige Segeln aufzugeben. Entsprechende medizinische Untersuchungen begleitend zur Talententwicklung und zum Hochleistungstraining sind unabdingbar und leisten zusammen mit einer  entsprechenden Ernährungsberatung einen wichtigen Beitrag in der Verantwortung des Sports zur Gesunderhaltung des Menschen.

 

WAS IST ZU TUN

 

 Alle  beteiligten Gruppen von Betroffenen sind aufgerufen, Drop-Outs zu verhindern, sie im Frühstadium zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die Einstellung zum Sport grundlegend zu überdenken, dabei muss ganz oben die Analyse des eigenen Einflusses auf den Drop-Out stehen. Hatte man selbst fördernden Anteil an der negativen Entwicklung, können begangene Fehler noch wiedergutgemacht werden, müssen evtl. zur Lösung des Konflikts bereits Außenstehende z.B. in einer psychologischen Beratung zugezogen werden? Das sind viele komplizierte Fragen, deren Beantwortung absolute Offenheit und Ehrlichkeit erfordert.

 Zuerst muss sich der Aktive selbst, evtl. mit Hilfe des Trainers und natürlich unter der Voraussetzung, dass er alt genug ist, fragen, ob er sich und seine Situation realistisch einschätzen kann, d.h. ob er in der Lage ist, seine persönliche Leistung vernünftig zu beurteilen und er daran seine Erwartungshaltung orientieren kann. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was ist vernünftig? Auch das ist nicht einfach. Weder dürfen nur wegen des Sieges bei irgendeiner kleinen unwichtigen Regatta an einem Baggersee gleich hohe Erwartungen auf einen Spitzenplatz bei der Kieler Woche resultieren, noch darf der Dauersieger bei Ranglistenregatten angesichts einer DM seine Erwartungen auf Rang 20 herunterschrauben, nur damit er keinesfalls versagt. Vernünftig bedeutet realistisch nach oben ohne Understatement. Die selbst gesetzten Ziele müssen unter vollem persönlichen Einsatz erreichbar sein, sie dürfen also keinesfalls so leicht zu erreichen sein, dass sich der Segler kaum anstrengen muss, sie zu realisieren.

 Für eine richtige Selbsteinschätzung und das notwendige Selbstvertrauen ist die beste Grundlage ein ausreichendes Training, in dem das Vertrauen zum Boot, in die eigene körperliche und geistige Leistungsfähigkeit und in den Mitsegler aufgebaut wurde. Einen solchen positiven Effekt hat ein Training dann, wenn es sinnvoll über Jahre hin aufgebaut wird und entsprechende Trainings- und Wettkampfplanungen den Belangen des Seglers entsprechend vorhanden sind. In Aufbau- und Vorbereitungswettkämpfen muss zu Beginn der Saison die Selbsteinschätzung aufgebaut werden, es ist deshalb unabdingbar, dafür das richtige Regattaniveau auszusuchen. Ganz besonders unsere jüngsten Segler müssen eine über mehrere Jahre angelegte "Karriereplanung" erhalten, denn leider ist es nicht selten der Fall, dass gerade sie 20 und mehr Regatten pro Jahr segeln, also doppelt so viel, wie von den Kaderseglern erwartet wird.

 In Bezug auf diese "Karriereplanung" sind selbstverständlich zunächst einmal die Eltern gefordert. Keiner kann einem 10 oder 12-jährigen Kind ansehen, ob es einmal bei Olympischen Spielen starten wird, also muss diese mehrjährige Planung für Veränderungen offen sein, vor allem müssen die Kinder den Spaß am Segeln behalten und sie müssen es gerne und freiwillig tun, nicht nur um jemanden damit einen Gefallen zu tun oder weil die Kinder eine moralische Verpflichtung spüren. Kinder in diesem Alter müssen beim Segeln in erster Linie noch spielen. Wenn sie allerdings bereits Wochenende für Wochenende kreuz und quer durch Deutschland gejagt werden, nach misslungenen Regatten Vorwürfe zu hören kriegen, wenn sie ihr Schiff polieren müssen, während die Freunde Fußball spielen, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese Kinder als Jugendliche vom Segeln nichts mehr wissen wollen, sie haben das Segeln zu selten positiv erlebt.

 Die wichtigste Rolle neben den Eltern spielt sicherlich der Trainer. Von ihm erwartet man die Objektivität, die Eltern aufgrund ihrer besonderen Beziehung zum jungen Segler nicht ohne weiteres haben. Das bedeutet oftmals natürlich Konfrontation dieser beiden Parteien, jedoch muss immer das Wohl des jungen  Menschen im Vordergrund stehen. Aus der Objektivität heraus ist es zentrale Aufgabe des Trainers, aufgrund seiner sportfachlichen Ausbildung und seiner Erfahrung, in Absprache mit Eltern, Verein und dem Segler, die mehrjährige Wettkampfplanung durchzuführen und deren Einhaltung zu überwachen. In Training und Wettkampf ist es Aufgabe des Trainers, für die realistische Selbsteinschätzung des Seglers die Möglichkeiten zu schaffen, Tiefpunkte im Selbstvertrauen überwinden zu helfen, andererseits zu hohe Erwartungen zu dämpfen. Dies kann ein Trainer sicher nur leisten, wenn die Trainingsgruppen nicht zu groß sind, damit ein enger Kontakt und ein hohes Maß an Zuwendung jederzeit möglich ist. Langjähriger Kontakt und ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis sind unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Trainer-Athlet Beziehung.

Ein wichtiges Problem, in dessen Folge häufig Drop-Outs vorkommen, sind Kaderzugehörigkeitsentscheidungen. Junge Segler wollen in die Kader. Neben finanziellen Vorteilen und der Betreuung durch Trainer sind auch Erwartungen mit dem Kaderplatz verbunden, die mit dem Sport direkt nichts zu tun haben, z.B. soziales Prestige oder die Hoffnung, bei Aufnahme in die Sportförderkompanie der Bundeswehr einen "schlauen Job" zu haben. Die hohen Erwartungen des Seglers, die leider häufig völlig überhöhten unrealistischen Vorstellungen entspringen, treffen bei Kaderberufungen besonders in den Bundeskadern auf sehr hohe und eng festgeschriebene Leistungsanforderungen seitens des Verbandes. Viele Segler sind diesem Druck nicht gewachsen und werden nach einem Kaderjahr wieder zurückgestuft, weil die Leistung nicht erbracht wurde. Das kann aber nicht der Sinn einer Förderung sein. Gerade bei Kaderberufungen darf nicht zu schematisch vorgegangen werden. Im Blick bleiben muss immer eine lange Seglerkarriere, denn es ist zu bedenken, dass die wirklich erfolgreichen Regattasegler alle eine lange Vorlaufzeit benötigen, da mit hohen Erfolgen erst ab dem  25.Lebensjahr zu rechnen ist. Vielleicht sollte daher auch der Vierjahres-Rhythmus der DSV-Förderung überdacht werden. Es ist für mich offensichtlich, dass zur erfolgreichen Seglerlaufbahn sehr viel Erfahrung gehört, Erfahrung bezüglich der realistischen Selbsteinschätzung, der internen Kausalattribuierung und der persönlichen Psyche.

 

 

 

MERKSÄTZE

-Abschließend will ich noch einmal schlagwortartig einige Merkregeln für alle Beteiligten zusammenstellen, die mit Drop-Outs zu tun haben.

1) Schätze den Segler realistisch ein.

2) Wähle Ziele aus, die den vollen Einsatz verlangen.

3) Bereite den Segler umfassend vor.

4) Offenheit und Vertrauen ist die Basis langjährigen Erfolgs.

5) Kaderzuhörigkeit ist keine Belohnung sondern eine Verpflichtung.

6) Seglerkarrieren erreichen wohl erst jenseits der 25 ihren Höhepunkt.

7) Setzt keine Talente wegen eines schnellen Sieges aufs Spiel.

8) Ohne Spaß an der Sache gibt es auch keinen dauerhaften Erfolg.

 

 

Literatur

Baur, Jürgen:    Talentsuche und Talentförderung im Sport, Teil 1 und 2, in Leistungssport 2/88, S. 5-11 und 3/88, S. 13-17

Ders.:               Über die Bedeutung „sensibler Phasen“ für das Kinder- und Jugendtraining, in Leistungssport 4/87, S. 9-15

Beck, Emil:       Motivation + Mut = Sieg, in Leistungssport 1/87, S.12-16

Holz, Peter:      Probleme des Ausstiegs von Jugendlichen aus dem Leistungssport, in Leistungssport 1/88, S. 5-10

Kröger, Christian: Zur Drop Out Problematik im Jugendleistungssport, in Beiträge zu Sportwissenschaft Bd. 6, Verlag Harri Deutsch 1987

Ders.:               Zur Fluktuation im Nachwuchsbereich, in Leistungssport 1/88, S. 11-15

Kreim, G/Mayer, R.: Abbruch der sportlichen Karriere im Jugendalter, in Sportwissenschaft 15/85, S. 398-409

Samulski, Dietmar: Analyse von Selbstmotivationstechniken im Leistungssport, in Leistungssport 4/86, S. 5-9

Völp, Andreas: Motivation in Training und Wettkampf, in Leistungssport, 4/85, S.13-16

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